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Handeln und regulieren

Der geopolitische Kontext unterstreicht die entscheidende Rolle des Rohstoffhandels und internationaler Abkommen für die wirtschaftliche Stabilität und die globale Versorgung.

Mit den verschiedenen Krisen hat die Welt die Rolle der Handelsaktivitäten im Welthandel wiederentdeckt. Das gilt auch für die WTO. Es reicht also nicht aus, Zölle zu senken, Verfahren zu vereinfachen und nichttarifäre Handelshemmnisse abzubauen.
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Mit den verschiedenen Krisen hat die Welt die Rolle der Handelsaktivitäten im Welthandel wiederentdeckt. Das gilt auch für die WTO. Es reicht also nicht aus, Zölle zu senken, Verfahren zu vereinfachen und nichttarifäre Handelshemmnisse abzubauen.
Jean-Marie Paugam
Organisation mondiale du commerce (OMC) - Vice-directeur
04 avril 2024, 22h00
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Covid-Krise, Krieg im Schwarzen Meer, Spannungen im Roten Meer, Austrocknung des Panamakanals… Schiffe müssen ihren Kurs ändern oder werden aufgehalten, der Containerpreis explodiert, Versicherer erhöhen ihre Prämien, Banken geben auf: Lebensmittel, Treibstoffe und wertvolle Mineralien werden nicht mehr geliefert. Mit diesen Krisen wird die wichtige Rolle des Rohstoffhandels und der Rohstoffversorger wiederentdeckt.

Auch bei der WTO! So genügt es nicht, Zollansätze zu reduzieren, Verfahren zu vereinfachen und nichttarifäre Handelshemmnisse abzubauen. Es braucht auch Experten, die die für den Handel und die Industrie unerlässlichen Rohstoffe beschaffen, verhandeln, abbauen, lagern, verfrachten und finanzieren. Karl Marx hätte geschmunzelt: ohne Handelsexperten könnte globaler Kapitalismus gar nicht funktionieren. Die WTO und der Rohstoffhandel sind deshalb eng miteinander verbunden.

Der Rohstoffhandel und die globale Schifffahrtsbranche verantworten 80% der weltweiten Warenflüsse und verbinden Produzenten und Konsumenten bzw. deren Verarbeitungsindustrien.

Denn Rohstoffe lassen sich nicht verlagern. Laut IWF machen die drei grössten Produzenten gegen 65% der landwirtschaftlichen Produktion aus, 50% der Energieproduktion sowie 70% des Abbaus von Mineralien, bei einem geschätzten Gesamtwert von rund 10 000 Milliarden Dollar. Diese Rohstoffe sind für zahlreiche Länder überlebenswichtig: für die Nettoimporteure von Lebensmitteln und für jene, die keine Energieautarkie erreichen können. Die Versorgungsströme des Rohstoffhandels strukturieren auch die internationale Wirtschaft mittels des verfügbaren Knowhows.

Rohstoffhandel und Transport ermöglichen die Überwindung der geographischen und zeitlichen Differenzen zwischen den Märkten: In Europa wird im Winter mehr Gas verbraucht, im Sommer werden mehr Früchte produziert. Der Handel erlaubt auch die Dämpfung von Schocks: Aufgrund des Ukraine-Kriegs mussten mehrere afrikanische Länder sich weitab vom Schwarzen Meer mit Getreide versorgen; durch Streiks in Sambias Minen erfolgten Disruptionen am Kupfermarkt; der Nachfragerückgang Chinas aufgrund der COVID-Krise erforderte neue Absatzkanäle.

Das multilaterale Handelssystem ist unerlässlich, denn es gewährleistet eine gewisse Sicherheit beim Zusammenwirken der Weltmärkte. Der internationale Handel und der internationale Transport sind als Dienstleister von WTO-Marktöffnungsmechanismen erfasst. Die festgelegte Marktregulierung ist bedeutend: Logistik (Transport, Zwischenlagerung, Vertrieb), Lagerung (unerlässlich für die Bewältigung der saisonalen Unterschiede), Verarbeitung (Raffinieren, industrielle Verfahren), Finanz (Risikomanagement, Handelsfinanzierung, Versicherungen). Andere WTO-Abkommen wirken sich direkt auf die Bedingungen aus, unter denen die Händler tätig sind. In der Landwirtschaft beeinflussen die Vereinbarungen zu Zolltarifen, Subventionen und sanitären Anforderungen die Preise und die Handelsbedingungen der Agrarrohstoffe. Technischere Bestimmungen steuern das Verhalten der Staaten bei der Kontrolle und beim Grenzübergang von Gütern: Zollprüfung, Inspektion vor dem Versand, Dokumentations- und Transitverfahren, die dem Abkommen zur Handelserleichterung unterliegen.

Welche Zukunft erwartet die Händler und das internationale Handelssystem, das ihre Aktivitäten regelt? Einige grundlegende Tendenzen sind absehbar.

Mehr politische Unsicherheit. In den ersten beiden Januarwochen 2024 hat die Bedrohung der Huthi im Roten Meer die Zahl der Getreidelieferungen durch den Suezkanal um 40% reduziert, was neue Befürchtungen bei den Importländern hervorgerufen hat. Die Tendenz zur geopolitischen Fragmentierung der Handelsflüsse wird aus den Statistiken langsam ersichtlich.

Mehr Nachhaltigkeit. Präferenzen der Konsumenten, technologische und industrielle Entwicklungen, Klimastrategien der Unternehmen und Regierungen sowie die Erwartungen der Bürgerinnen und Bürger: alles Faktoren, die auf eine neue Ära des Handels hinweisen. Kupfer, Nickel, Kobalt und Lithium spielen bereits eine zentrale Rolle beim ökologischen Wandel. Preisgerechtigkeit, Gleichstellung, Einbezug marginalisierter Bevölkerungsgruppen, Achtung der Menschenrechte werden zu unvermeidbaren neuen Forderungen an die Marktwirtschaft und ihre Akteure.

Mehr Digitalisierung. Verfolgbarkeit der Flüsse und der Herkunft der Produkte, Buchhaltung und Umweltzertifizierung, Effizienz der Finanz- und Zahlungssysteme, neue Schnittstellen für den Austausch mit den Regierungsverwaltungen bilden das Gerüst des Handels von morgen.

Zu all diesen Fragestellungen liefert die WTO bereits Antwortansätze, die aber auch Anpassungen bedürfen.

Die WTO bietet einen Rahmen, der dazu beiträgt, die wirtschaftlichen Auswirkungen politischer Spannungen abzufedern. Ihre Rolle und Verantwortung im Bereich der Transparenz und der Überwachung der Handelspolitiken stärkt das Vertrauen und den Geist der globalen Zusammenarbeit. Die Verpflichtungen der WTO-Mitglieder haben, wie erwähnt, eine wichtige Rolle bei den jüngsten Krisen gespielt. So konnten Versorgungsketten für unentbehrliche Gesundheits- und Nahrungsmittel aufrechterhalten werden.

Einige Mitglieder haben bereits die Entwicklung von an das digitale Zeitalter angepasste Regelungen in Angriff genommen. Zurzeit finden Verhandlungen im Bereich E-Commerce statt. Bei Themen wie elektronische Signatur, «papierloser» Handel, Online-Konsumentenschutz, Cybersicherheit und Zugang zu Regierungsdaten wurden Fortschritte erzielt. Länger werden die Diskussionen betreffend Umweltverträglichkeit und zur Bekämpfung des Klimawandels dauern, zu denen die WTO noch viel beitragen könnte: Transparenz beim Handel kritischer Mineralien, Rahmen für die Subventionen für die grüne Industrie, Öffnung der Märkte für umweltfreundliche Innovationen, Verbreitung und Transfer von Technologien und Dienstleistungen für die Bekämpfung der Umweltverschmutzung u.a. 

Rohstoffhandel und internationale Regulierung sind zwei Seiten einer selben Münze: Ihre gemeinsame Grundlage ermöglicht den Handel zwischen den Weltbevölkerungen zeitgemäss und zukunftsgerichtet zu gestalten.