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Geopolitik des Weizens

Der weltweite Handel mit Weizen, der für die Ernährungssicherheit lebenswichtig ist, definiert die geopolitischen und wirtschaftlichen Beziehungen zwischen den Nationen neu.

Geopolitik des Weizens
KEYSTONE
Laura Demurtas
Club DEMETER - Chargée de veille et des relations extérieures
04 avril 2024, 22h00
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Weizen wird mehrmals täglich in verschiedenen Formen von mehr als der Hälfte der Weltbevölkerung konsumiert und ist heute eine Schlüsselprodukt für die weltweite Ernährungssicherheit. Der immer strategischere internationale Handel mit diesem essenziellen Rohstoff muss in geoökonomischer und diplomatischer Hinsicht betrachtet werden.

Zunächst ist seine Produktion äusserst ungleich über die Welt verteilt. Bedeutende Weizenanbauzonen befinden sich in Nordamerika, Indien, China, Europa, im Schwarzmeerraum, in Sibirien, aber auch in Australien und Argentinien. Obwohl Weizen in fast 120 Ländern angebaut wird, stammen 80% der Produktion aus nur 15 davon.

Viele Länder sind zudem hochgradig vom Weizenimport abhängig, um ihre Bevölkerung ernähren zu können. Dies gilt insbesondere für die Länder Nordafrikas und des Mittleren Ostens, wo Wasserknappheit und Mangel an Ackerland verbunden mit einem massiven Bevölkerungswachstum zu extremer Anfälligkeit führen. Fehlt es an Weizen, kann dies die Wirtschaft und die Gesellschaft in diesen Ländern destabilisieren.

Die weltweite Weizenproduktion liegt bei rund 800 Millionen Tonnen pro Jahr, doch nur 200 Millionen werden auf dem internationalen Markt gehandelt, 30% davon durch Russland und die Ukraine. In kaum 20 Jahren hat Russland alle anderen Exporteure überflügelt und damit die Geopolitik des Weizens massgeblich verändert. Rohstoffe und die landwirtschaftliche Entwicklung haben eine zentrale Rolle in der von Wladimir Putin seit Beginn der 2000er-Jahre angestrebten Erholung der russischen Wirtschaft gespielt. Die russische Weizenproduktion von 2000 bis 2021 übertraf jene der USA. Russland exportiert 30% seiner Ernte.

Dank dieser Stellung auf dem Weizenmarkt konnte Russland weltweit neue Allianzen eingehen und in neue Märkte vordringen. Zehn afrikanische Länder sind nun für über 50% ihrer Weizenimporte von Russland abhängig. Betrachtet man die russischen und ukrainischen Weizenexporte zusammen, sind 16 Länder zu über 50% für ihre Ernährungssicherheit auf sie angewiesen. Besonders besorgniserregend ist der Fall von Libanon, der nur über Weizenreserven für einen Monat verfügt.

Nach dem Ausbruch des Ukraine-Kriegs stiegen die Weizenpreise im März 2022 auf EUR 400 pro Tonne, ein untragbarer historischer Rekord für viele Importländer mit schwerwiegenden Auswirkungen auf deren Ernährungssicherheit.

In einem Umfeld knapper Ressourcen und sich wandelnder wirtschaftlicher Machtverhältnisse eine wachsende Bevölkerung zu ernähren, ist eine der komplexesten Herausforderungen des 21. Jahrhunderts. Weizen illustriert, wie ein Lebensmittelrohstoff die Geopolitik und die Machtverhältnisse zwischen Staaten beeinflussen kann. Angesichts der soziodemografischen Dynamiken und der regionalen Unterschiede unterstreichen die Strategien der bedeutenden Import- und Exportländer den entscheidenden Charakter der Landwirtschaft.