Am 29. November 2020 wurde die "Konzernverantwortungsinitiative" in einer Volksabstimmung abgelehnt. Damit tritt der indirekte Gegenvorschlag in Kraft, der neue Anforderungen an nicht-finanzielle Transparenz und Sorgfaltspflichten beinhaltet. Dieser Artikel spiegelt die Situation zum Zeitpunkt der Erstellung wider, die sich je nach zukünftigen Entwicklungen ändern kann.
Durch den Gegenvorschlag eingeführte Anforderungen
Die Anforderungen an die nichtfinanzielle Berichterstattung betreffen Public Interest Entities (PIEs; börsenkotierte und FINMA-regulierte Unternehmen), wenn sie die quantitativen Kriterien erfüllen, wie in der linken Spalte der untenstehenden Tabelle angegeben. Die betroffenen Unternehmen müssen über bestimmte nicht-finanzielle Themen nach dem Ansatz "comply or explain" berichten. Die Anforderungen an die nichtfinanzielle Berichterstattung spiegeln weitgehend die aktuelle Richtlinie der Europäischen Union (EU) zur nichtfinanziellen Berichterstattung (NFRD) wider, die seit 2017 in Kraft ist.
Der Gegenvorschlag führt auch Sorgfaltspflichten für Unternehmen (unabhängig von Grösse und Börsennotierung) mit Hauptsitz, Hauptverwaltung oder Hauptniederlassung in der Schweiz ein (rechte Spalte in der Tabelle unten). Betroffen sind Unternehmen, die vier Arten von Mineralien oder Metallen (Zinn, Tantal, Wolfram oder Gold) aus Konflikt- oder Hochrisikogebieten in die Schweiz importieren oder in der Schweiz verarbeiten, sowie Unternehmen, die Produkte oder Dienstleistungen anbieten, bei denen begründeter Anlass zur Sorge bezüglich Kinderarbeit besteht. Die betroffenen Unternehmen müssen ein Risikomanagementsystem entlang ihrer Lieferkette betreiben und jährlich über die Erfüllung der Sorgfaltspflichten berichten. Zusätzlich werden die Sorgfaltspflichten für Mineralien und Metalle einer jährlichen Überprüfung durch eine unabhängige dritte Partei unterzogen.

Auswirkungen der Sorgfaltspflichtanforderungen
Das Ausmass, in dem Unternehmen betroffen sind, hängt davon ab, inwieweit ihre Wertschöpfungs- und Lieferkette Tochterunternehmen und Dritte in Hochrisikogebieten umfasst. Komplexe Wertschöpfungsketten sind typischerweise in Branchen wie Mineralien, Metalle oder Agrarindustrie zu erwarten, wo verschiedene Ebenen von Lieferanten zwischen der Quelle und den Käufern in der Schweiz die Transparenz der Lieferkette beeinträchtigen könnten. Ein Unternehmen, das eines dieser Mineralien importiert, muss in der Lage sein zu beurteilen, ob es ursprünglich aus einem Konflikt- oder Hochrisikogebiet bezogen wurde. Ähnliche Herausforderungen ergeben sich für Unternehmen auch bei der Bewertung potenzieller Risiken von Kinderarbeit.
Frühzeitige Bewertung zur Sicherstellung der Compliance empfohlen
Vorausschauend wird eine frühzeitige und detaillierte Beurteilung der aktuellen Berichterstattung und Risiken entlang der Wertschöpfungskette empfohlen. Der Gegenvorschlag wird voraussichtlich ab 2022 anwendbar sein, so dass nur ein bescheidener Zeitrahmen bleibt, um mögliche Lücken zu schliessen. Werden die Anforderungen an die nichtfinanzielle Berichterstattung anwendbar sein? Woher kommen die Produkte oder Materialien ursprünglich? Wie wurden die Waren produziert oder die Mineralien beschafft? Wer war noch in der Lieferkette beteiligt? Was sind die möglichen negativen Auswirkungen oder Beeinträchtigungen in der Lieferkette? Im Anschluss an diese Bewertung müssen die betroffenen Unternehmen ihre Berichterstattungs- und Lieferkettenrichtlinien festlegen oder ändern und die Rückverfolgbarkeit der Produkte sicherstellen. Darüber hinaus sollten die Unternehmen einen Plan entwickeln, um die identifizierten Risiken und negativen Auswirkungen in ihrer Lieferkette anzugehen und zu reduzieren. Insgesamt ist dies auch eine Gelegenheit, das gesamte Risiko- und Compliance-Management-System hinsichtlich der Abdeckung von Risiken in der Lieferkette zu überprüfen - auch über Konfliktmineralien und Kinderarbeit hinaus. Die Anforderungen werden auch unbestreitbar mehrere Funktionen innerhalb eines Unternehmens betreffen, wie das Risiko- und Compliance-Management und die Kommunikation. Die Einbindung des Verwaltungsrates und des C-Levels in Verbindung mit einer frühzeitigen Bewertung des aktuellen Zustands und der Erwartungen der wichtigsten Stakeholder (intern und extern) ist unerlässlich. Governance und Aufsicht sind nicht nur generell wichtig in einem Geschäftsumfeld, das mit zunehmenden Regulierungen konfrontiert ist, sondern auch entscheidend, um die steigenden Erwartungen der Stakeholder zu erfüllen.
Ausblick
Einige offene Fragen bleiben aus heutiger Sicht bestehen. Wie werden Konfliktgebiete, Hochrisikogebiete und begründeter Verdacht für Kinderarbeit definiert? Wird die Berichterstattung zur Sorgfaltspflicht zu einem integralen Bestandteil der bestehenden nichtfinanziellen Berichterstattung? Wird die Sorgfaltspflicht in Bezug auf Kinderarbeit auch eine externe Prüfung erfordern? Inwieweit werden KMU und Unternehmen mit geringem Risikoprofil von den Anforderungen ausgenommen? Zu diesen Fragen wird der Bundesrat in einer neuen Verordnungsvorlage zusätzliche Hinweise geben. Derzeit sehen sich Unternehmen auch auf europäischer Ebene mit zunehmenden Regulierungen bei der Berichterstattung und dem Risikomanagement entlang ihrer Lieferketten konfrontiert[1]. Diese regulatorischen Entwicklungen können nicht nur den Schweizer Regulator beeinflussen, sondern auch als Referenzpunkt für die Anwendung eines breiteren Umfangs der nichtfinanziellen Berichterstattung, Risiko- und Compliance-Management dienen, als es der Gegenvorschlag explizit fordert.
[1] z.B. die neue EU-weite Konfliktmineralienverordnung, die im Januar 2021 vollständig in Kraft tritt, oder die Diskussion über Lieferkettengesetze in Deutschland sowie auf EU-Ebene.