2022 war ein äusserst turbulentes Jahr für die weltweite Energieversorgung. Russland, bis dahin der bedeutendste Erdgaslieferant, reduzierte die Pipeline-Lieferungen in die EU um 80%. Dadurch stieg der Grosshandelspreis von Erdgas, dem wichtigsten Brennstoff für die Stromerzeugung und Heizung in Europa, auf einen Höchststand von 300 EUR/MWh. Seither ist der Erdgaspreis in Europa stark zurückgegangen und hat sich bei knapp 30 EUR/MWh eingependelt.
Noch vor zehn Jahren war der Beitrag von Flüssigerdgas (LNG) zum globalen Energiemix beschränkt und die LNG-Märkte waren wenig entwickelt. Japan und Korea beherrschten den Markt mit einem Anteil von 52%. LNG wurde vorwiegend im Rahmen von Festverträgen mit einer Laufzeit von 20 Jahren gekauft und verkauft. Inzwischen ist der Markt stark gewachsen. Die Energiehändler spielen eine aktivere Rolle und sichern sich flexible Versorgungsvolumen, ohne festen Zielort des LNG. Sie chartern Flotten von LNG-Tankern, mit denen die Ladungen weltweit frei bewegt werden können. 2022 war dies entscheidend, damit Europa rasch mehr LNG erwerben konnte, um den Ausfall der russischen Gaslieferungen zu kompensieren. Andere Märkte in Asien und Lateinamerika konnten leichter von Gas auf andere Brennstoffe umstellen. Dadurch wurden deutlich höhere LNG-Reserven für Europa frei, den die Nachfrage in Asien ging zurück und die Händler verschoben ihre Ladungen von Asien nach Europa. Das gesamte LNG-Angebot in der EU und in Grossbritannien stieg um rund 71%.
Der Zugang zu mehr LNG zwang die Energieunternehmen und die Regierungen, rasch zu handeln und neue Terminals in Häfen zu bauen, da die Einfuhrkapazitäten für LNG 2022 beschränkt waren. Das weltweite Angebot dürfte in den nächsten fünf Jahren um rund 50% steigen. Wesentliche Investitionen sind nötig, um eine sichere Versorgung Europas zu gewährleisten. Diese werden teilweise durch Energielieferverträge zwischen den Regierungen und den Händlern garantiert.
Europa ist gut positioniert, um von diesem steigenden Angebot dank niedrigeren Energiepreisen zu profitieren. Künftig wird auch der Zugang zu LNG-Spotmärkten weitere Vorteile bringen. Da LNG nun frei gehandelt wird, kann Europa im Rahmen der fortschreitenden Energiewende flexibel reagieren.
Wenn Europa zunehmend energiearme Energiequellen entwickelt, haben die Energiehändler die Möglichkeit, LNG-Lieferungen in die Wachstumsmärkte Asiens umzuleiten, wo das Erdgas die starke Verschmutzungen hervorrufenden Kohlenkraftwerke ersetzen kann. So können die LNG-Spotmärkte sowohl die Energiesicherheit in Zeiten des Mangels als auch die nötige Flexibilität für den Abbau von Angebotsüberschüssen gewährleisten. Damit passen sie sich effizient der Nachfrage an, ohne die europäischen Konsumenten mit kostspieligen Verträgen mit fester Laufzeit zu belasten, die in den kommenden Jahrzehnten vielleicht gar nicht gebraucht werden.