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Globalisierung vor einem Wendepunkt? 

Die Globalisierung ist im Wandel, möglicherweise zum Besseren. 

Die Fragmentierung des Handels könnte ihn behindern und langfristig zu einem Verlust von 7% des globalen BIP führen.
Die Fragmentierung des Handels könnte ihn behindern und langfristig zu einem Verlust von 7% des globalen BIP führen.
Børge Brende
World Economic Forum - Président
17 mars 2023, 6h56
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Heute treffen zwei gegenläufige Strömungen aufeinander, die die Welt zugleich stärker und weniger stark integriert erscheinen lassen. Auf der einen Seite sprechen die langjährigen Vorteile der Globalisierung für eine fortgesetzte Zusammenarbeit. Aufgrund der wachsenden Herausforderungen sollte diese noch weiter vertieft werden. Auf der anderen Seite treten protektionistische Kräfte gegen das integrierte globale System auf. Durch einen weisen Ausgleich dieser gegensätzlichen Kräfte könnte die Globalisierung so umgestaltet werden, dass global nicht nur der Wohlstand, sondern auch Gerechtigkeit und Widerstandsfähigkeit gefördert werden. 

Wie die Messung des Welthandels im Verhältnis zum weltweiten BIP zeigt, nahm in den letzten 15 Jahren die Globalisierung ab. Dieser Rückgang folgt auf drei Jahrzehnte der «Hyperglobalisierung» nach dem Ende des Kalten Krieges – eine Ausweitung und Liberalisierung des Handels, die zu einer immer stärker vernetzten Weltwirtschaft führte. Die Handelszunahme trug zu einem globalen Anstieg der Einkommen bei. Gemäss Studien der Weltbank hat sich die Zahl der Menschen, die in extremer Armut leben, seit 1990 halbiert. 

Die globale Finanzkrise von 2008 veranlasste die Regierungen hingegen zu einem Kurswechsel. Im folgenden Jahrzehnt häuften sich protektionistische Massnahmen. Die COVID-19-Pandemie und der Einmarsch Russlands in der Ukraine haben die Tendenz der Staaten verstärkt, Liefer- und Wertschöpfungsketten in heimische Gebiete zurück zu verlegen und Handelsschranken gegen aussen einzuführen. Dadurch sollen ihre Volkswirtschaften vor als turbulent und störend wahrgenommenen globalen Kräften geschützt werden. 

Die Welthandelsorganisation rechnet entsprechend für dieses Jahr mit einem Anstieg des Handelsvolumens von nur 1,0%, einem deutlichen Rückgang zur letzten Prognose von 3,4%. Es besteht die Sorge, dass durch eine gespaltene geopolitische Landschaft der dringend gebrauchte Aufschwung ins Stocken geraten könnte, obwohl eine schwächelnde Wirtschaft und ein sich erwärmender Planet unsere gemeinsame Aufmerksamkeit erfordern. 

Für 2023 sollte das Wachstum besser als prognostiziert ausfallen, sich aber trotzdem auf 2,9% abschwächen. Die Fragmentierung der Handelsströme könnte in einem längeren Zeitraum zu einem Verlust von bis zu 7,0% des globalen BIP führen. Was den Klimawandel betrifft, warnte die UNO bereits im vergangenen Jahr, dass es «jetzt» gelte die Erwärmung auf 1,5°C zu begrenzen. Die Umsetzung der Netto-Null-Verpflichtungen wird durch eine globalisierte Welt leichter zu bewerkstelligen sein. Der globale Handel gewährleistet die höhere Verfügbarkeit und grössere Erschwinglichkeit von umweltfreundlichen Gütern und Technologien. 

Die Globalisierung bringt aber nicht nur Vorteile, wie die Entwicklungsgeschichte der Covid-19-Impfstoffe aufzeigt. Der Impfstoff von BioNTech/Pfizer ist ein Wunderwerk der Kooperation und des Handels. Er besteht aus 280 Komponenten aus 19 verschiedenen Ländern. Doch schon im ersten Jahr führte der Verteilungswettbewerb zu grossen Ungleichheiten. Wohlhabende Länder konnten sich eine Durchimpfungsrate von 75 bis 80% sichern, während in Entwicklungsländern weniger als 10% der Bevölkerung geimpft wurde. 

Um echten globalen Wohlstand und gesellschaftliche Widerstandskraft zu erreichen, muss die Globalisierung eine andere Gestalt annehmen. 

Eine Reihe globaler Abkommen zielt durch den Einbezug betroffener Interessengruppen auf mehr Gerechtigkeit ab. Das Abkommen der kontinental-afrikanischen Freihandelszone gibt beispielsweise die Gleichstellung der Geschlechter als Ziel vor. An der UNO-Klimakonferenz COP27 von 2022 wurde eine bahnbrechende Einigung für einen «Loss and Damage»-Fonds für einkommensschwache Volkswirtschaften erzielt, welche von den Risiken des Klimawandels betroffen sind. Bei der Übernahme des G20-Vorsitzes hat Indien erklärt, höchsten Wert auf eine integrative Agenda mit Fokus auf der Reduktion der digitalen Kluft zu legen. 

Dies sind ermutigende Schritte, doch es muss noch mehr unternommen werden, vor allem auf nationaler Ebene. Die Regierungen können durch Massnahmen wie die Stärkung der sozialen Sicherheitsnetze und die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit ihrer Gemeinschaften integrative Politik fördern. Dadurch weisen etwa die skandinavischen Länder trotz starker globaler Ausrichtung niedrige Ungleichheiten auf. 

Die bisherige Globalisierung wird hinterfragt, weil sie nicht immer den Interessen der gesamten Gemeinschaft gedient hat. Es liegt nun an den Führungspersönlichkeiten weltweit, die Gunst der Stunde zu nutzen, um nicht nur eine stärker integrierte, sondern auch eine gerechtere Welt zu gestalten.