Sollten Rohstoffhändler über eine Compliance-Einheit verfügen? Oder anders ausgedrückt: Sollte eine Kontrolleinheit eingerichtet werden, die unabhängig vom operativen Geschäft agiert? Macht es Sinn, in eine Unternehmenseinheit zu investieren, die lange als reiner Kostenfaktor erachtet wurde? Der Rohstoffhandel und das Umfeld in welchem er stattfindet, verändern sich rasant. Welchen Stellenwert müssen Akteure in diesem Markt dem Kampf gegen Korruption und Geldwäscherei sowie den internationalen Sanktionen beimessen?
Der Bundesrat hat seine bisherige Haltung gegenüber dem Rohstoffsektor bestätigt: die Wettbewerbsfähigkeit und die Integrität des Wirtschafts- und Finanzplatzes Schweiz soll bewahrt werden. Dieser Wettbewerbsvorteil führt dazu, dass im Rohstoffhandel tätige Unternehmen nicht wie andere Wirtschaftsakteure beaufsichtigt werden, obwohl sie ähnlichen Risiken wie z.B. Finanzintermediäre ausgesetzt sind. Bereits ein kleiner Vermögensverwalter mit einem Kundenstamm von zehn in der Schweiz ansässigen Rentnern ist strengeren Kontrollvorschriften unterstellt als ein multinationales Rohstoff-Unternehmen, dessen Handelsvolumen mehrere hundert Milliarden Dollar beträgt und das über Tausende von Geschäftsbeziehungen weltweit verfügt.
Aus der Politik wurden bereits mehrere Analysen und Berichte in Auftrag gegeben. Einer der bekanntesten Berichte entstand nach dem Postulat Seydoux, welcher eine Überwachung des Rohstoffhandels mittels der Geldwäscherei-Regulierung empfahl. Die Berichtsergebnisse waren uneindeutig und die Schlussfolgerungen blieben dieselben: die derzeitige Aufsicht, insbesondere durch die Depotbanken, sei ausreichend. In einer Gesellschaft, in der die persönliche Verantwortung an Bedeutung zunimmt und Umwelt-, Sozial- und Governance-(ESG) Kriterien einen immer höheren öffentlichen Stellenwert haben, werden weniger Fehler geduldet.
Die Krise in der Ukraine hat die Wichtigkeit wirksamer interner Kontrollsysteme wieder hervorgehoben. Die Händler sahen sich plötzlich mit massiven zusätzlichen regulatorischen Anforderungen konfrontiert. Die Kosten für die Rechtsberatung stiegen explosionsartig, die Angst, Fehler zu machen, nahm zu.
Fundamentale Fragen tauchen plötzlich wieder auf: Sind die Sanktionslisten, die wir verwenden, auf dem neuesten Stand? Wer ist für ihre Anwendung, Verbreitung und Aktualisierung zuständig? Welche Sanktionen sind anwendbar? Ist unser Risiko ausreichend abgesichert? Wir sind immer so vorgegangen, aber ist das auch heute noch der richtige Weg?
Diese Herausforderungen im Bereich der Risikokontrolle und der Unternehmensführung sind nicht nur eine Folge der aktuellen Situation, sondern ein logischer Wandel. Es liegt an jedem einzelnen Unternehmen, sich rechtzeitig Gedanken über die Risiken des eigenen Geschäfts zu machen und diese effektiv und objektiv zu beurteilen, möglichst noch vor der nächsten Krise.